(geschrieben für und mit freundlicher Genehmigung von www.regionale2004.de)
Brigitte Neumann
Im Wandel der Zeiten sind sie beständig geblieben: die Herzhaften 5 aus Westfalen – Knochenschinken, Mettwurst, Pumpernickel, Stuten und Korn. Die besten Rezepte von dem, was aus Schwein und Korn so alles werden kann, gaben Großväter und Großmütter jeweils an Söhne, Töchter und Enkel weiter. Sie wurden nicht entwickelt in den Laboren der Technologen für die überfließenden Regale der Discounter, sondern in den Küchen der Häuser gegen den Hunger der Menschen. Ihre Wertschätzung orientierte sich am tatsächlichen Aufwand. Wenn das Getreide erst durch das Schwein geht und dann nochmals besonders gereift und veredelt als Schinken oder Mettwurst auf dem Teller landet, ist das natürlich teurer als wenn aus Roggen und Weizen direkt Brot gebacken wird. Schon im 16. Jahrhundert brannte man aus Getreide auch den berühmten klaren Korn, landläufig „Wein der Westfalen“ genannt. Die Zahl der Brennereien nahm beständig zu, denn mit dem Brennen von Korn aus Getreide wurde für viele Branntwein erstmals erschwinglich.
Wie beständig können die Herzhaften 5 aus Westfalen im Wandel der Werte bleiben? Gute Qualität hat ihren Preis. Doch der Wertewandel der Konsumenten scheint unaufhaltsam zu sein. Einerseits haschen wir nach Fleisch, Wurst und Schinken im Supersonderangebot, andererseits geben wir Milliarden für Nahrungsmittel aus den Designerlabors der Lebensmittelindustrie aus – von Funktional Food über Nahrungsergänzungsmittel hin zur breiten Palette an Produkten der Kunstköche aus der Tiefkühltruhe für die Mikrowelle. Doch die Kunst des Essens und Genießens, die Kunst des Kochens verdient es nicht nur, neu in den Mittelpunkt gerückt zu werden, sie dient auch dazu, dem Menschen aus Erfahrung gute und gesunde Lebensmittel zu servieren.
Denn im eigentlichen Sinn ist Essen nicht mehr und nicht weniger als die Befriedigung eines ganz elementaren Grundbedürfnisses. Weil der Verdauungstrakt des Menschen weder darauf ausgelegt ist, Fleisch roh zu essen wie die Raubtiere, noch Körner zu fressen wie die Kühe, haben wir seit Menschengedenken viel Zeit, Kreativität und Ideen in die Zubereitung der Nahrungsmittel investiert, die eine Region zu bieten hat. Herausgekommen sind Zubereitungsverfahren, die auf geniale Weise sowohl die Bekömmlichkeit als auch die Haltbarkeit unseres Nahrungsangebotes gewährleisten. Schließlich ist Nahrung die direkte Schnittstelle des Menschen zu seiner Umwelt. Und damit wir uns möglichst gut an das Angebot der Welt, in der wir leben anpassen können, werden unsere Ernährungsgewohnheiten maßgeblich von den Erfahrungen geprägt, die wir in den ersten Lebensjahren mit dem Essen machen. Jeder Besuch auf dem Bauernhof und jedes Stück Schinken, Mettwurst, Pumpernickel oder Stuten gibt den Kindern von heute Erfahrungen für morgen mit. Sie brauchen das elementare Erlebnis, woher gesunde Nahrungsmittel kommen und wie gut sie schmecken. Dann sind sie als Erwachsene von morgen wesentlich besser immunisiert gegen ständig wechselnde Moden, Marotten und Ideologien, die übers Essen ausgetragen werden und bleiben beständig bei dem, wo ihr Bauch gute Kindheitserinnerungen signalisiert.
Geschichte und Geschichten: Schinken und Mettwurst
Die Herzhaften 5 aus Westfalen verweisen stolz auf eine lange Tradition und könnten stundenlang Geschichten erzählen. So wussten bereits die Römer, dass in Westfalen die besten Schinken produziert werden. Sie scheuten keine Mühen, die veredelten Schweinehintern mitsamt dem Knochen drin zu Pferd und zu Fuß den Rhein entlang über die Alpen bis nach Italien zu transportieren. Schon im 12 Jahrhundert begehrten die Kölner den westfälischen Schinken, den es am Hauptmarkt zu kaufen gab. Selbst Politik wurde im 15. Jahrhundert mit Schinken betrieben: 12 der besten Knochenschinken sollten den polnischen König Sigismund für die Belange der Dortmunder gewinnen.
Wenn der Schinken Geschichte schreibt, könnte die Mettwurst Geschichten erzählen, denn sie war die „gute“ Wurst für alle Fälle, egal ob Feste feiern oder feste arbeiten. „Für Mettwurst wird die beste Sorte von dem ausgesuchten rohen Schweinefleisch verwandt“ schreibt Gertrud Kreuzer-Lampe 1931 in ihrem Standardwerk „Die praktische Landfrau“ und empfiehlt vor allem das Fleisch langsam gemästeter ein- bis zweijähriger Schweine, denn „… diese haben festere Muskeln und somit kernigeres Fleisch“. Kurz nach dem Schlachten gab’s die Würste roh aus dem Darm, dann verschwanden sie für etliche Wochen zum Räuchern und Trocknen und entwickelten sich währenddessen zu schnittfesten Dauerwürsten mit ausgewogenem Aroma und guter Haltbarkeit. Natürlich vorkommende Milchsäurebakterien werden durch eine Prise Zucker im Rezept zur Vermehrung angefacht und entfalten ihre aromabildende und haltbarkeitsverlängernde Aktivität während der Reife- und Trocknungszeit. Übrigens sind ein paar hauchdünne Scheiben Schinken oder zwei Zentimeter Mettwurst mit einer Scheibe trocken Brot die ideale Kost für heiße Sommertage. Sie liefern Energie und vor allem alle Mineralien, die mit dem Schwitzen verloren gehen und sind gut bekömmlich. Moderne Technologie schafft flotte Turboschinken und schnelle Dauerwürste mit Salzspritzungen, Flüssigrauch oder Raucharoma und geringsten Trockenzeiten. Da bildet sich weniger natürliches Aroma und bleibt mehr Wasser in der Wurst. Das macht die Ware billiger und wesentlich leichter verderblich.
Schwarzes Brot und weiße Decke: Pumpernickel mit Stuten
„Bonum panicum“ (gute Brötchen) so nannte nach einer der zahlreichen Legenden rund um den Pumpernickel ein Osnabrücker Bischof das Brot, dass er für seine hungernden Schäfchen backen ließ. Um seine genaue Entstehung jedoch ranken mehr Geschichten und Legenden als definitives Wissen. Jedenfalls war er eine Antwort auf wogende Roggenfelder und Hunger im Volk. Viel Spott von außen musste er über sich ergehen lassen. Die Franzosen wollten ihn ihren Pferden geben, der niederländische Humanist Justus Lipius höhnte gar im 16. Jahrhundert: „Welch armes Volk, dass seine Erde essen muss“ Was er nicht wissen konnte: Pumpernickel macht das Roggenkorn bekömmlich. Wie die optimale Verarbeitung des Getreides funktioniert, zeigen uns die Wiederkäuer. Sie verschlingen schnell große Mengen und fermentieren die Nahrung in ihrem komplexen Magensystem. Der Fermentbrei wird zurücktransportiert, gründlichst gekaut und endgültig verdaut. Da der Mensch kein Wiederkäuer ist, lässt er seit alters her seinen Brotteig über Nacht im externen Gärbottich säuern. Das nimmt dem Getreidekorn die verdauungshemmenden Abwehrstoffe, die ansonsten eine Aufnahme wichtiger Mineralien wie Eisen oder Calcium behindern würden. Seinen süßlich-malzig-deftigen Geschmack bekommt der Pumpernickel während der langen Backzeit – der macht ihn unverwechselbar zu allen anderen Broten.
Bauernstuten, fast schon wie Kuchen aus weißem Weizenmehl ist die Alternative zum groben Pumpernickel. Weißes Mehl war kostbar und nur für die Sonn- und Feiertage bestimmt. Am Montag deckte man eine Scheibe Stuten auf den gebutterten Pumpernickel – und gab so dem oftmals rauen Alltag symbolisch die Kraft, Ruhe und Erholung des Sonntags mit auf den Weg.
Kühler Korn und klare Perspektiven
Harte Arbeit, gepaart mit Wissen und Erfahrung, sammelt sich auch in dem Pinnchen mit Korn, der brennend durch die Kehle zischt. Laut Reinheitsgesetz von 1928 dürfen nur Weizen, Roggen, Gerste, Hafer in die edlen Tropfen verwandelt werden. Das von Wilhelm dem zweiten erlassene Branntweinmonopol, mit dem einst der Staat viel Geld mit dem Alkohol verdiente, subventioniert heute die Überproduktionen. Schwere Zeiten stehen den Kornbrennern bevor, bei vielen geht’s ums blanke wirtschaftliche Überleben.
Dennoch: Solange sich Menschen miteinander dafür engagieren, die bewährte Qualität zu erhalten und kreative Ideen entwickeln, ihre Produkte preisgerecht und möglichst direkt zu vermarkten, haben sie auch gute Chancen. Mit menschlich-freundlicher Nähe zum Kunden, kann vielerorts bis heute noch ein Auskommen mit Einkommen erzielt werden.
Die Herzhaften 5 aus Westfalen jedenfalls symbolisieren nicht nur qualitativ hochwertige Lebensmittel aus besten Grundzutaten mit ausdauernder Reifezeit für vollendeten Genuss – sie sind auch Symbol für die Beständigkeit, Ausdauer und den Wandel einer Region, deren Bevölkerung immer Wege fand, sich den Herausforderungen des Alltags konstruktiv zu stellen.