Es ist windstill. Kein Grashalm und keine Blume auf der sattgrünen bunten Sommerwiese bewegen sich. Ein paar Schmetterlinge flattern im warmen Sonnenschein.

"Wunderschön hier, nicht wahr?" Oliver beugt sich vor, um besser in den geöffneten Picknickkorb schauen zu können.

"Was hast du denn eingepackt?

Pia wendet sich ihm zu und lacht.

"Du bist wohl hungrig?"

"Ja - und wie."

"Magst du eingelegten Schafskäse? Oder Tomaten mit Mozzarella? Und Körnerbaguette?"

"Hört sich gut an! Am liebsten von allem etwas."

Pia verteilt den Schafskäse und die Tomaten auf zwei Teller. In den Duft der Sommerwiese mischt sich eine würzige Knoblauch-Basilikum-Note. Sie gibt Oliver das Brot. Er bricht ungleichmäßig große Stücke und legt sie auf eine Serviette. Die ersten Ameisen kommen auf die Decke gekrabbelt, um sich die Brotkrümel zu holen.

"Hast du auch etwas zum Trinken eingepackt?"

Pia lacht wieder. Triumphierend holt sie eine ausgebeulte Aluminiumfeldflasche aus dem Picknickkorb. "Ja, habe ich."

"Hej, das ist ja unsere Feldflasche!"

Diese Feldflasche hatte Pia und Oliver stets begleitet, als sie noch Kinder waren und durch die Felder stromerten. Sie wohnten Haus an Haus und sahen sich täglich. Das war lange so. Als Pia zum ersten Mal heftig verliebt war, erfuhr nur Oliver davon. Die erste Liebe verging, eine neue kam - und Oliver blieb als treuer Freund. Er verliebte sich mehrfach, aber stets in andere Frauen. Mit einer davon zog er letztes Jahr in einen anderen Ort. Pia wohnt inzwischen mit einem Kommilitonen zusammen.

Sie treffen sich nicht mehr oft, aber wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet, entdecken sie die alte Vertrautheit sofort wieder. Freundschaft ja, Liebe nein, das haben sie sich gegenseitig versichert.

Oliver nimmt einen kräftigen Schluck aus der Feldflasche. Pia sieht die Bewegungen seines Adamsapfels, beobachtet, wie sich seine Lippen vom Flaschenhals lösen, wie er mit der Handinnenfläche über die Öffnung streicht, bevor er sie wieder verschließt und sich anschließend selbst mit dem Handrücken über die Lippen fährt.

"Dass es diese Feldflasche noch gibt, ist ja toll!"

"Dass es unsere Freundschaft noch gibt, finde ich mindestens ebenso gut!"

Oliver legt seine Hand wie selbstverständlich auf Pias Knie. Das macht er oft, wenn sie miteinander reden.

Er schaut sie an: "Ja, ich auch."

Heute nimmt sie seine Hand von ihrem Knie.

"Du, Oliver, aber es hat sich etwas verändert."

"Soo? Was hat sich denn verändert?"

"Spürst du das nicht?"

Ihr Herz klopft bis zum Hals, sie fürchtet, mit ihren Andeutungen ihre Freundschaft aufs Spiel gesetzt zu haben. Aber nun kann sie nicht mehr zurück. Und sie will auch nicht mehr zurück. Vor Oliver hatte sie noch nie irgendwelche Geheimnisse.

Er blickt schweigend auf den Boden, pflückt einen Grashalm und wickelt ihn um seinen rechten Zeigefinger. Die Zeit hält den Atem an, die Schmetterlinge flattern weiter. Endlich wendet er sich ihr wieder zu: "Doch, ich spüre es schon länger. Ich wollte es nur nicht wahrhaben, denn ich hatte Angst um unsere Begegnung."

"Und nun?" Jetzt legt sie ihre Hände auf seine Knie. Ein Zittern liegt in ihrer Stimme. "Bleiben wir ehrlich miteinander - so wie immer? Oder müssen wir uns jetzt voreinander verstecken?"

Oliver hält ihrem Blick stand und sagt: "Nein.. Ich meine, ja. Ja, lass uns ehrlich bleiben - so wie immer!"

 

Sie umarmen sich, schmiegen sich eng aneinander, entdecken sich neu. Schmetterlinge tanzen in ihrem Bauch.